Die Tür zur Kirche stand die ganze Nacht offen. So als wollte sie ein letztes Mal Zuflucht für die Menschen signalisieren und einladen, die Sankt Sebastian-Kirche im Rahmen der Bibelnacht ein letztes Mal zu besuchen.Im Innern empfing die nächtlichen Besucher und Besucherinnen ein in warmes Kerzenlicht getauchter Kirchenraum. Der Altarbereich in der Mitte der Kirche wurde durch einen langen Tisch mit vielen Kerzen und ausliegenden Bibeln bestimmt. Die Bänke der Kirche waren ebenfalls mit Kerzen und Bibeln bestückt, so dass jede und jeder den eigenen Platz für sich einnehmen und ausprobieren konnte.
Die Teilnehmenden und Gäste, die Neugierigen, die mit der Gemeinde solidarischen Besucher und Besucherinnen und derjenigen, die ein letztes Mal den Kirchenraum erleben wollten, kamen vor allem in den ersten Phasen der Bibelnacht - bis weit nach Mitternacht. Zunächst wurde der zweite Brief des Apostels Paulus an die Korinther vorgetragen, dann das Buch Tobit - ergänzt durch Klavierbeiträge - und nach Mitternacht folgten die Psalmen.
Auch in den "schwierigen Phasen", zwischen "2-b Uhr" (wegen der Zeitumstellung gab es eine doppelte Stunde zwischen 2 und 3 Uhr) und 6 Uhr morgens waren noch viele Teilnehmende in der Kirche. Die "zusätzliche" Stunde wurde mit einem Gang durch das Viertel gestaltet - als Wahrnehmung des Exils - und in der Kirche mit einer Lesung aus dem Buch Kohelet nach dem Motto: "Es ist zwei Uhr, dann drei Uhr, dann wieder zwei Uhr - alles Windhauch".
Von 2-b Uhr bis 4 Uhr wurde dann das Exil mit der Erinnerung an die Praxis der Propheten Nehemia und Esra überwunden und eine Politik des Wiederaufbaus und der Restauration vorgestellt - eine Politik, an der man sich auch stoßen konnte, baute sie doch auf Ausschluss und Absonderung.
Wie zur Korrektur einer allzu engen und menschenfeindlichen Religionspolitik fiel in die "härteste" Zeit der Bibelnacht die Lesung des Buches Rut, das behutsam mit Gedichten von Hilde Domin kommentiert wurde. Trotz der ungewöhnlichen Zeit waren selbst jetzt noch mindestens neun Menschen dabei.
Zum Schluss wurde dem Weg des Apostels Paulus, wie ihn die Apostelgeschichte beschreibt, gefolgt. Als Vertriebener, Verworfener und immer wieder zur Flucht Gezwungener konnte er ein Beispiel für die Situation der Menschen in Sankt Sebastian sein, die in wenigen Stunden den letzten Gottesdienst in ihrer Kirche feiern würden.
Ein gemeinsames Frühstück am Ende des diesmal besonders langen Weges durch die Nacht vereinte mehr als zwanzig Teilnehmende im Pfarrhaus, um sich nicht nur mit starkem Kaffee für den Tag zu stärken.